Die Rundfunkkommission der Länder will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren, diese Woche diskutierte darüber die Ministerpräsidentenkonferenz. Ein zentraler Streitpunkt in den Reformplänen: Wie sehr darf das öffentlich-rechtliche Angebot der Presse ähneln?
„Presseähnliche Angebote“ sind den Sendern untersagt. Allerdings ist umstritten, was „presseähnlich“ genau bedeutet. Vor allem die Lobby der Zeitungsverleger kämpft dafür, dass die Öffentlich-Rechtlichen sich doch bitte so weit wie möglich auf Audio- und Videoformate beschränken sollen. Daher enthält der aktuelle Entwurf des Reformstaatsvertrags das, wie Leonhard Dobusch es nennt, „Retrokonzept“ nicht nur weiterhin, sondern stärkt es sogar noch. Textinhalte sollen eingedampft werden. Erlaubt sind sie nur dann, wenn sie einen Sendungsbezug haben, von Ausnahmen wie einfachen Schlagzeilen abgesehen.
Statt das Konzept zu stärken, wäre es an der Zeit, den Sendungsbezug tief in die Mottenkiste zu vergraben. Die Diskussion darum lenkt ab von zwei viel größeren Problemen: die Krise der Journalismusfinanzierung und die Krise der Demokratie, die durch mangelnde verlässliche Informationsangebote einen fruchtbaren Boden bekommt.
Die aktuelle Debatte ist daher fehlgeleitet und führt weg von zwei relevanten Fragen: Wie können wir vielfältigen Journalismus abseits von Werbedatenverkauf und Bezahlschranken finanzieren? Und wie schaffen wir für alle die Möglichkeit, sich umfassend und verlässlich zu informieren?
Anachronistische Trennung von Text, Bild und Ton
Gerade bei Online-Angeboten ist die Unterscheidung zwischen Text, Video und Audio anachronistisch. Und während andernorts etwa FragDenStaat das Internet auf tote Bäume drucken muss, um als Presse durchzugehen, sollen ARD, ZDF und Co. ihre digitalen Textangebote zurückhalten, bis ein dazu passender Beitrag gesendet wird. Oder sie müssen „kreativ“ werden und für alles mögliche eigentlich überflüssige Clips produzieren – weil die Zeitungsverleger ihre Pfründe davonschwimmen sehen.
Letzteres stimmt sogar: Wir haben ein Problem mit der Finanzierung von Journalismus. Auflagen sinken. Werbefinanzierung für klassischen Journalismus funktioniert immer weniger und Leser:innen lassen sich nicht allzu leicht in Plus-Abos locken. Lokalredaktionen werden dichtgemacht, weil sie nicht mehr rentabel sind. Zentralredaktionen liefern einen Großteil des Materials, die Lebensrealitäten der Leute vor Ort werden kaum noch abgebildet. Medienvielfalt sieht anders aus.
Klar, da kann man missgünstig werden gegenüber den gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen. Wobei es falsch ist, ein Bild vom Land mit fließendem Honig zu malen, wenn Sender wie der RBB für ihre Regionalpräsenz teils auf Coworking-Plätze zurückgreifen müssen und ernsthaft die Auflösung des eigenständigen Kultursenders 3sat erwogen wird.
Die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht das Problem
Die Ursache der finanziellen Krise des Journalismus ist aber nicht, dass die Öffentlich-Rechtlichen Texte ins Internet schreiben. Und schon gar nicht besteht die Lösung darin, es ihnen zu verbieten. Statt den falschen Gegner zu bekämpfen, sollten wir darüber nachdenken, wie wir vielfältigen Journalismus sichern können, wenn es der Markt nicht mehr kann. Das ist auch Aufgabe der Politik.
Doch weder die Verlagslobby noch die verantwortlichen Politiker:innen denken offenkundig an das, worum es eigentlich gehen sollte: die Möglichkeit für alle, sich umfassend und verlässlich zu informieren. Ganz egal, ob in Wort, Bild oder Ton.
Denn neben dem Journalismus kriselt auch noch etwas anderes: die Demokratie. Dass Menschen sich niedrigschwellig verlässlich darüber informieren können, was um sie herum aus welchen Gründen passiert, ist eine Grundvoraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Wenn nun überall wichtige Informationen hinter Paywalls stecken, füllen Demagogen die Lücken im Sinne ihrer eigenen Agenda. Vermeintliche Skandal-Meldungen lassen sich schnell produzieren und verbreiten, wenn glaubwürdige Angebote nicht zugänglich sind. Das spielt Verschwörungsideologen-Kanal auf Telegram ebenso in die Hände wie den populistischen Hetzern im Gewand von „Alternativmedien“.
Wir brauchen mehr Medieninhalte, nicht weniger
Wir müssen dafür sorgen, dass es mehr unabhängige Medienangebote gibt, die nach journalistischen Standards arbeiten. Wenn die öffentlich-rechtlichen Angebote wegfallen, werden wohl kaum die Verlagsfürsten ihre Paywalls niederreißen. Oder ihren Kurs der weiteren Zentralisierung verlassen. Und so wird es dann noch weniger Angebote geben, die dem dröhnenden Rauschen an interessengeleiteten Info-Häppchen etwas entgegensetzen können. Denn den Verlagen geht es vor allem um eines: um Gewinn.
Zu überlegen, wie Nachrichten wieder mehr Menschen erreichen können, ist Aufgabe der Verleger und der Politik. Doch während Erstere sich auf einen Abwehrkampf mit einem Scheinfeind versteifen, hält sich Letztere die Augen zu.
Wir brauchen Konzepte für eine solide Förderung von privaten Medienunternehmen und -organisationen, die dennoch die Staatsferne der Presse wahren. Nach unsäglichen Diskussionen um eine Zustellförderung für Printmedien traut sich offenbar niemand mehr, dieses Thema richtig anzufassen. Dabei gäbe es verschiedene Modelle, die sich in mehreren europäischen Ländern bewährt und dort mitnichten zu bedingungslos staatstreuen Publikationen geführt haben.
Und vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass es neben öffentlich-rechtlichen und privaten Medien eine dritte Säule in der Medienwelt gibt: den gemeinnützigen Journalismus. Dass diese Säule nicht gestärkt wurde, ist auch die Schuld der Länder. An deren Widerstand ist es gescheitert, die Gemeinnützigkeit von Journalismus ein wenig rechtssicherer zu machen. Dabei ist das dringend nötig, um neue Medienmodelle eben dort zu ermöglichen, wo es sich für private, profitorientierte Akteure nicht mehr lohnt.
Es ist nicht der Journalismus, der in der Krise steckt. Journalisten machen auf dem gesamten Planeten – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen – eine ehrenvolle und unverzichtbare Arbeit.
Die Krise lässt sich unschwer im Umfeld der Publikation verorten, also dort, wo Medienunternehmen Redaktionen dafür bezahlen, journalistische (Vor-)Arbeit erfolgreich zu vermarkten, zum Zweck der Förderung noch lukrativerer Werbegeschäfte. Daran scheitern zunehmend sog. „Medienhäuser“. Aber woran scheitern sie, und wie? Sicherlich nicht am „journalistischen Material“.
Das Zubrot der Werbeeinnahmen der Verlage stand schon immer im Interessenkonflikt mit journalistischer Arbeit. Der Vorwurf von „Prostitution“ gab es gegenüber zahlungskräftigen Werbekunden schon vor dem Internet. Wie ist die Lage heute?
Werden Journalisten letztlich in Abhängigkeit der Klickzahlen entlohnt, die gefällig geschriebene Artikel als Teaser für auktionierte Werbeausspielung ermöglichen, inklusive deep tracking und KI-Analytics? Wer sind dabei die „ehrenwerten Huren“, wer die Zuhälter, wer die Dummen?
Offenbar haben auch sonst neoliberal orientierte Medienhäuser ihre existentiellen Sorgen, weil sie im Markt, der alles regeln soll, prächtig scheitern. Sie sind es, die am lautesten nach Unterstützung (durch wen, bitte?) schreien.
Ohne journalistisch geleistete Arbeit die ohnehin zu Teasern und Breadcrumbs verkommt, fehlt der „Rohstoff“ für das eigentliche Hauptgeschäft der Medienhäuser, nämlich Teilnahme am „Datenhandel“. Dort beschäftigte Journalisten sollten sich mal neidvoll ansehen, wie Boing-Beschäftigte 70% Lohnerhöhung fordern und mit angebotenen 40% gar nicht zufrieden sind.
Dass der „journalistische Nachwuchs“ andere Daseinsformen „im Netz“ sucht und findet, macht Mut und zeigt, dass es auch ohne Datengeschäfte und Paywalls weiter geht. Wer dabei aber auf Plattformen wie YouTube landet, befördert dort den kapitalistischen Datenhandel.
„Das Zubrot der Werbeeinnahmen der Verlage stand schon immer im Interessenkonflikt mit journalistischer Arbeit.“
Das klingt nach weitgehender Unkenntnis des Zeitungsverlagswesens. Der Verkauf von Zeitungen hat traditionell grob Druck und Vertrieb refinanziert. Alles andere, inklusive des kompletten Journalismus, wurde über das Anzeigengeschäft erwirtschaftet. Die Kunden eines Zeitungsverlags sind nicht die Leser, die Leser sind Teil des an die Anzeigenkunden verkauften Produkts.
Es gab und gibt einige wenige Zeitungen mit anderer Finanzierung, zB die taz (linke Genossenschaft) oder die Welt (rechter PR-Konzern).
Der ÖR wurde aus guten Gründen mit einer unabhängigen Finanzierung für Journalismus ausgestattet.
> Das klingt nach weitgehender Unkenntnis des Zeitungsverlagswesens.
Diese Bemerkung klingt aber kräftig nach einem Unverständnis, was die journalistische Arbeit und mögliche Interessenkonflikte im „Zeitungsverlagswesen“ anbelangt, ob nun Zubrot oder Geschäftsmodell, das sei dahin gestellt.
Journalismus, wie eine hier angestrebte Gesellschaft ihn braucht, steht letztlich im Widerspruch zum Geschäftsmodell der meisten Zeitungsverlage und Medienunternehmen.
Bild und Welt führen da genauso vor wie Berlusconi, Murdoch, Musk, und wie sie nicht alle heissen. Und selbst traditionelle Blätter wie Spiegel oder Süddeutsche haben heute Onlineausgaben, die ihre Reaktion vor 30 Jahren nicht mit der Kneifzange angefasst hätte. Weil der Verlag das so vorgibt, um Gewinn und Meinung zu machen.
Die klassischen Journalisten glauben halt die eigene Inszenierung ihrer selbst. Aber die vereidigten auch noch immer die Bild als Kollegen…
„Wer dabei aber auf Plattformen wie YouTube landet, befördert dort den kapitalistischen Datenhandel.“
Ja, äh. Und wieviel Mut bleibt übrig, wenn man die Plattformen streicht?
Es gibt einen Mittelweg zwischen über Zwangsgelder finanziertem Staatsfunk und profitorientiertem Infotainment: Gemeinnützige Medien-Vereine. Damit lassen sich Nachrichten und Bildung auslagern und über freiwillige und von der Steuer absetzbare Spenden finanzieren. Sobald den Vereinen ein Bias nachgewiesen werden kann, verlieren sie den Status der Gemeinnützigkeit. – Keine Subventionen, keine Zwangsgelder und wer einen echten Mehrwert bietet wird auch von der Gesellschaft finanziert.
„Es gibt einen Mittelweg zwischen über Zwangsgelder finanziertem Staatsfunk und profitorientiertem Infotainment:“
Ja, den ÖR.
Weniger Text ist an sich kein Problem. Wie nennt die Jugend ™ das „Reels“ sind doch das aktuelle Ding. Nur Boomer lesen doch noch.
Viel schlimmer finde ich das depublizieren von mit Gebührengeld finanzierten Videos, nur damit die privaten Medienunternehmen für ihren minderwertigen Content weniger Konkurrenz fürchten müssen.
Ich beziehe eine Zeitung.
Aber gerne würde ich mich über mehr Meinungen informieren.
Ich kann aber unmöglich noch für weitere Zeitungen (bzw Webauftritte im Internet) zahlen.
Eine gedruckte Zeitung beinhaltet Werbung.
Warum kann es nicht Onlinewerbung geben, wie in der gedruckten Zeitung ?
Dem würde ich zustimmen. , aber keiner personenbezogenen Werbung.
Es gibt durchaus Onlinewerbung welche nicht personifiziert ist und vollständig ausgespielt wird.
Allerdings ist eine personenbezogene Werbestrategie deutlich effizienter und lukrativer, sowohl für den Betreiber der deutlich weniger Werbung für die gleichen Einnahmen benötigt, als auch für den Werbekunden der seine Zielgruppe eher erreicht.
Ich frage mich wirklich warum man darin einen Nachteil, eine Verschwörung oder eine Problematik erkennen kann. warum soll ich mir als Mann beispielsweise Werbung für Damenhygiene anschauen, wenn für mich doch stattdessen vielmehr Rasierschaum relevant ist ?
Mir und den allermeisten Menschen ist es doch völlig egal ob irgend eine KI meine Interessen kennt und mir darauf hin relevante Werbung ausspielt.
„Personalisierte“ Werbung gibt es im übrigen in Ansätzen auch in der „realen Welt“ so hängt an der Rennstrecke wohl keine Werbung für Backzubehör und der Backwettbewerb wird eher nicht von einem Motorölhersteller gesponsert.
Würde eine Zeitung personalisierte Werbung beinhalten, wäre nur die Hälfte ebendieser nötig um die Kosten zu decken, dies wäre dann auch deutlich nachhaltiger und umweltschonender.
Was du mit der Rennstrecke beschreibst, läuft unter kontext-basierter Werbung. Also so als würde man in der Zeitung die Sportschuh-Anzeige im Sportteil unterbringen und im Online-Text in der Rezepte-Rubrik die Werbung für Töpfe. Da brauchts nicht unbedingt Personalisierung zu :)
Kontextbasierte Werbung haben Zeitungen schon lange. Nur dafür, und den dort möglichen Hochglanzdruck, gibt es die bunten Magazine.
Und natürlich sind ganze Rubriken darauf ausgerichtet, die SZ hat ihr Autowerbeumfeld zB „mobiles Leben“ genannt.
Sehr treffend finde ich den Hinweis, dass der ÖRR die Aufgabe hat, Basisinformationen in Textform zu liefern. Schwieriger wird es bei der Frage, inwiefern sich dieses Argument auf kommentierende und andere Texte auswirkt. In der Tat besteht schon die Gefahr, dass der ÖRR ggü. privaten Printanbietern einen unfairen Vorteil hat. Sofern der ÖRR wirklich auf seinen Kernauftrag beschränkt wäre, fände ich diesen Vorteil auch im Print-Bereich legitim. Das große Ärgernis für jeden, der den ÖRR in seiner Konzeption verteidigt, ist doch weiterhin, wie viele Formate dort das Geld verschleudern, das mit dem Kernauftrag nichts zu tun hat. Also: endlose Krimis, Serien, Boulevard, Sport uvm. Formate wie der Deutschlandfunk, Arte, 3Sat oder Tagesschau sollten deutlich mehr Geld bekommen. Dass jedoch die ehrenwerten Formate als Argumentationshebel dienen, um dann gefühlt 95 Prozent der Gebühren in aus Sicht der ideellen Begründung irrelevante Inhalte zu investieren, das ist und bleibt der Kardinalfehler, über den man offenbar zu müde geworden ist, ihn zu diskutieren.
Warum muss der ÖR überhaupt einen fairen Wettbewerb mit kommerziellen bestreiten?
Grundversorgung ist sinnvollerweise eben genau das: Grundversorgung. Schulen, Gesundheitswesen, Polizei, ÖR, …
Gibt es jetzt noch die Möglichkeit, auf das Verfahren in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen, oder ist der Dops gelutscht?